– Widerlegung –
Unter dieser Überschrift wurde Anfang November ein Rechtsgutachten von Rechtsanwalt und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger aus Wiesbaden vorgestellt, das sich mit der Frage beschäftigt, ob Sexkauf (= Prostitution) verfassungswidrig wäre. Es ist auf der Webseite eines „Sachverständigenrates“ namens DIAKA e.V. zu finden.
Zur aktuellen Rechtslage: Der Begriff „Prostitution“ ist vom Gesetzgeber im Prostituiertenschutzgesetz als der Verkauf von sexuellen Handlungen definiert, wobei diese Handlungen hingenommen, ausgeübt oder in unmittelbarer Nähe der Kundin bzw. des Kunden vorgeführt werden können. Das bedeutet, dass sämtliche bezahlten sexuellen Praktiken unter Prostitution fallen vom Geschlechtsverkehr bis zur Massage, die sich in den Intimbereich erstreckt. Konsequenterweise müssen auch Tantra-Masseur*innen sich als Prostituierte registrieren lassen, auch wenn der Intimbereich keineswegs regelmäßig in die Tantramassage einbezogen wird.
Im folgenden werden Zitate schwarz und Kommentare grün-kursiv dargestellt.
Gleich zu Anfang ist zu bemerken, dass Prof. Rommelfanger offensichtlich in eine der typischen abolitionistischen Fallen getappt ist: die Begriffe Prostitution bzw. Sexkauf werden grob pauschalisiert und unterliegen dem sehr eingeengten Narrativ, dass Prostitution zum allergrößten Teil im Bereich der Rotlichtkriminalität stattfinden und dass Gewalt und Ausbeutung den bestimmenden Teil der Prostitution ausmachen würden.
Einleitung
[…] 95 Prozent der Menschen in der Prostitution sind Frauen […]
Diese Zahl ist zu hoch. Der Anteil von Männern unter den Prostituierten wird meist mit 10% angegeben und teilweise sogar auf bis zu 30% geschätzt 1)
1. Keine Prüfung des Würdeschutzes erfolgt
[…] Seit über 20 Jahren wurde von Seiten des Gesetzgebers nicht weiter hinterfragt, ob Prostitution auch noch weitere Rechtsverletzungen durch die Beteiligten nach sich zieht. […]
Das ist definitiv falsch. So wurde z.B. der § 232a StGB (Menschenhandel) im Oktober 2016 – also erst vor 6 Jahren – gründlich überarbeitet. Der Gesetzgeber ist sich weiterer Rechtsverletzungen durch die Beteiligten also durchaus bewusst und unternimmt etwas dagegen.
2. Vorschnelle Annahme der Freiwilligkeit
Beide Gesetze zur Prostitution ([…] ProstG und […] ProstSchG) unterstellen die Freiwilligkeit durch die Betroffenen, ohne diese je einer empirischen Prüfung unterzogen zu haben. Es liegt deshalb ein gravierender Mangel der Prüfung der Freiwilligkeit vor, ebenso wie eine vorschnelle Legalisierung der Prostitution ohne Prüfung der menschenrechtlichen Folgen für die Prostituierten.
Dies kann man zwar theoretisch so sehen, eine Prüfung lässt sich jedoch praktisch nicht durchführen. Viele Prostituierten arbeiten im Verborgenen, sie lassen sich nicht registrieren und kommen auch den Behörden nicht unter die Augen, sodass sie überhaupt nicht nach der Freiwilligkeit ihrer Tätigkeit befragt werden können. Bei diesen handelt es sich meist um Nebenerwerbs- und Gelegenheitsprostituierte bzw. um Studierende, die ihr Studium nebenbei durch Prostitution finanzieren. Die Anzahl dieser Prostituierten ist nicht unerheblich 1).
Weiterhin ist völlig unklar, was der Begriff „Freiwilligkeit“ eigentlich bedeuten soll. Freiwilligkeit als Abwesenheit von Zwang durch dritte Personen kann bei den genannten Nebenerwerbs- und Gelegenheitsprostituierten sicherlich in den allermeisten Fällen angenommen werden. Freiwilligkeit als Abwesenheit von wirtschaftlichen Zwängen dürfte dagegen ganz allgemein bei den wenigsten Menschen vorliegen. Kein Müllarbeiter würde den ganzen Tag stinkende Müllcontainer über die Straße rollen, wenn er nicht unter dem Zwang stünde, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen.
3. Kenntnis andauernder Rechtsverletzungen durch gesetzgeberisches Unterlassen
[…] Trotz der Kenntnis über schwerwiegende strafbare Handlungen und sexuelle Ausbeutung gegenüber Menschen in der Prostitution, fehlt es Polizei und Strafverfolgungsbehörden insbesondere an den entsprechenden gesetzlich zu schaffenden Eingriffsbefugnissen.
Das liegt an dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“, der es zur obersten Priorität macht, Unschuldige vor einer Strafverfolgung zu schützen. Bevor ein Verdächtiger angeklagt wird oder sogar in Untersuchungshaft kommt, müssen hinreichende Verdachtsmomente vorliegen – und daran mangelt es bedauerlicherweise sehr oft. Das darf aber doch kein Grund sein, die Gesetze so zu ändern, dass z.B. eine einfache Aussage eines einzelnen Zeugen „ich habe etwas gesehen…“ zu einer Untersuchungshaft führt.
4. Billigende Inkaufnahme von Unrecht und mangelnde Beseitigung
Dies bedeutet, dass die bundesdeutsche Gesetzgebung, trotz Kenntnis, seit zwanzig Jahren Unrechtsstrukturen sehenden Auges in Kauf nimmt, in dem sie weiterhin sexuelle Ausbeutung und auch unfreiwillige sexuelle Dienstleistungen duldet.
Dass der Gesetzgeber sexuelle Ausbeutung dulden würde, ist eine böswillige Unterstellung und angesichts der immer wieder aktualisierten Gesetze gegen Zuhälterei und Menschenhandel eine Falschbehauptung. Sie ist ebenso abstrus, wie wenn man der Gesetzgebung vorwerfen würde, jährlich den Tod von über 2000 Teilnehmern am Straßenverkehr billigend in Kauf zu nehmen, anstatt die Benutzung von Autos zu verbieten.
5. Würdeschutz als Verbot der Verobjektivierung und Garantie von Autonomie
Die Menschenwürde ist unveräußerlich und wird verletzt, wenn (durch staatliches Handeln) Menschen „verobjektiviert“ werden, also im Sinne einer Instrumentalisierung bzw. Herabstufung zu Objekten werden. Der Würdeschutz beinhaltet auch eine Garantie der sexuellen Autonomie, weil diese für Menschen wesentlich ist. Freier Wille und sexuelle Selbstbestimmung korrelieren miteinander und müssten deshalb nicht nur bei der Vereinbarung der Prostitution, sondern auch während des prostitutiven Akts als Bedingung der Menschenwürde garantiert bleiben.
Dies ist völlig richtig.
6. Medizinisch und psychische Schäden und Menschenrechtsverletzungen
Es gibt neben belastbaren Hinweisen für serielle, irreversible posttraumatische Belastungsstörungen, chronische Erkrankungen der Geschlechtsorgane und anderer Organe, darüber hinaus für hohe Sterblichkeit und stark verkürzte Lebenserwartung als Folge der Prostitution, weitere Missstände in Form von Zwangsprostitution, von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung von MigrantInnen und vulnerablen Gruppen. […] Naturwissenschaftliche Gutachten bestätigen die nachhaltige Schädigung der Prostituierten, ebenso repräsentative Erfahrungen aus der begleitenden Sozialarbeit. […]
Die Formulierung „weitere Missstände“ ist mehr als seltsam. Die zuerst genannten Schäden treten überwiegend im direkten Zusammenhang mit den folgend genannten Umständen auf. Selbstbestimmte Prostituierte können sexuelle Praktiken vermeiden, die bei ihnen zu körperlichen oder seelischen Schäden führen würden. Studentinnen, die Geschlechtsverkehr mit fremden Männern ablehnen, können die Palette ihrer Dienstleistungen entsprechend begrenzen.
Erfahrungen aus der begleitenden Sozialarbeit können niemals repräsentativ sein, weil sich ein großer Teil der Prostitution außerhalb ihres hauptsächlich auf das Rotlichtmilieu gerichteten Blickfeldes abspielt. Diese Erfahrungen zu verallgemeinern ist genau so unsinnig, wie wenn man die Patienten im Wartezimmer eines Zahnarztes befragt, ob sie Probleme mit ihren Zähnen haben, und die Resultate auf die Gesamtbevölkerung hochrechnet.
7. Menschenwürde ist keine Leerformel
[…]
Völlig richtig.
8. Bei Verobjektivierung gibt es keine Autonomie
In dem Moment, in dem Menschen durch Dritte verobjektiviert bzw. instrumentalisiert werden, bleibt ihnen keine Wahl mehr für ein freies persönliches Werturteil, denn sie sind nicht mehr autonom. Subjektive Werturteile sind nur möglich, wenn Autonomie und grundsätzliche Freiheit im Handlungsvollzug vorausgesetzt werden können. Es zeugt angesichts der bekannten Umstände von grundsätzlicher Sachferne zu behaupten, die repräsentative Mehrheit der Frauen in der Prostitution würde keiner Fremdbestimmung im Sinne der Verobjektivierung unterliegen. Deshalb können nur objektive Untersuchungen, nicht jedoch Einzelmeinungen oder interessengeleitete Äußerungen von Bordellbetreibern und Zuhältern für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Prostitutionsgesetzgebung maßgeblich sein.
Hier zeigt sich wieder, dass Herr Prof. Rommelfanger in eine der typischen abolitionistischen Fallen getappt ist: er glaubt offensichtlich, dass die Mehrheit der Prostituierten gezwungenermaßen Geschlechtsverkehr verkaufen und sich penetrieren lassen müssen, denn nur in diesem Fall kann tatsächlich eine Verobjektivierung stattfinden.
Eine Verobjektivierung findet NICHT statt, wenn die Prostituierte den Geschlechtsverkehr jederzeit abbrechen kann, sobald er für sie unangenehm ist.
In vielen Fällen macht sich der Kunde sogar selbst zum Objekt, indem er eine völlig passive Rolle einnimmt und die Aktivitäten komplett der Prostituierten überlässt, so zum Beispiel im Bereich der erotischen Massagen. Im Grunde genommen dürfte es selbst bei einer Frau, die einen Mann oral befriedigt, nur unter großen rhetorischen Verrenkungen gelingen, diese Frau als „Objekt“ zu definieren und nicht ihren Kunden.
9. Unveräußerliche Grundrechte müssen auch bei sexueller Liberalisierung gelten
[…] Deshalb darf es, insbesondere für Frauen, keinen rechtsfreien Raum geben, in dem Vergewaltigung und schwere Körperverletzungen gegen den Willen der Betroffenen nicht geahndet werden.
Das ist zwar theoretisch völlig richtig, in der Praxis aber leider reines Wunschdenken. Auch außerhalb der Prostitution kann niemals garantiert werden, dass alle Vergewaltigungen und Körperverletzungen mit absoluter Sicherheit zur Strafverfolgung führen.
10. Autonomie ist nicht garantiert
Wenn eine Person gegen Entgelt einer anderen Person sexuell zur freien Verfügung stehen soll, ist es von Seiten des Gesetzgebers nicht möglich, Gewaltfreiheit durch den Freier und Würdeschutz durch den Bordellbetreiber zu garantieren. Kriminalstatistisch wird Prostitution regelmäßig von Nötigung durch Zuhälter und Gewalt durch Freier geprägt. […]
Der Gesetzgeber garantiert überhaupt nichts und kann auch nichts garantieren. Es glaubt ja auch niemand, dass es Aufgabe der Straßenverkehrsordnung wäre, das Leben sämtlicher Verkehrsteilnehmer zu garantieren.
Die Kriminalstatistik sagt nur etwas über begangene Verbrechen aus, aber sie sagt nichts darüber aus, wie viele Verbrechen NICHT begangen wurden. Kein Statistiker der Welt ist in der Lage, repräsentative Aussagen über sämtliche Prostituierte zu machen: über die Nebenberuflichen wie über die Hauptberuflichen, über Männer wie über Frauen, über Prostituierte außerhalb des Rotlichtmilieus wie innerhalb.
A propos Statistiken: angenommen, von den 83 Millionen Einwohnern Deutschlands sind 250.000 Prostituierte, und 2.000 sterben jährlich im Straßenverkehr, dann sind unter den Verkehrstoten jedes Jahr 6 Prostituierte. Das sind deutlich mehr, als im Zusammenhang mit Rotlichtkriminalität ums Leben kommen.
Dieser Vergleich soll keineswegs die Rotlichtkriminalität relativieren oder verharmlosen, sondern lediglich deutlich machen, dass rein rechnerisch ein Auto-Verbot mehr Prostituierten das Leben retten würde als ein Prostitutionsverbot.
11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Aufhebung des Prostitutionsgesetzes
[…] Die geltende Gesetzgebung ist unseres Erachtens grundgesetzwidrig. […]
Dies wird hier auf diese Seite ausführlich widerlegt.
12. Sexkaufverbot garantiert Würdeschutz
Nach internationalen Erfahrungswerten ist eine sinnvolle Regulierung der Prostitution nachweislich nur gemäß dem Nordischen Modell möglich, welches die Strafbarkeit von Sexkauf als gesetzliche Norm vorgibt. Menschenhandel, gewaltsame Prostitution sowie Zwangsprostitution können damit nahezu ausgeschlossen werden, denn die Nachfrage nach Prostitution reduziert sich auf ein Minimum […] Die Einschätzung, dass sich dadurch Prostitution in ein unkontrollierbares Dunkelfeld verschiebt, hat sich empirisch als falsch erwiesen und wird nach regierungsamtlichen schwedischen Evaluationen ebenso wenig bestätigt wie nach den Erfahrungen der mittlerweile zahlreichen anderen demokratischen Rechtsstaaten, in denen das Nordische Modell bereits geltendes Recht ist.
Der zweite Satz widerlegt sich selbst: „ein Minimum“ stellt keine Garantie dar – nur „auf Null“ würde eine Garantie darstellen.
Die genannte Einschätzung ist eine Fehleinschätzung, denn Dunkelfelder haben es so an sich, dass sie dunkel sind und sich der Beobachtung entziehen, besonders wenn es den Beobachtern daran gelegen ist, nichts zu sehen, was sie nicht sehen wollen, um ihre Ideologie als Erfolg aussehen zu lassen.
In Deutschland hatten wir 2019 einen Höchststand an registrierten Prostituierten. Dann kam die Corona-Pandemie, und die Bordelle wurden geschlossen. Die Folgen sind bekannt: die Zahl der registrierten Prostituierten sank erheblich, weil viele von ihnen sich auf Haus- und Hotelbesuche verlegten. Und dabei blieben sie dann auch, weil sie auf diese Weise die hohen Mieten in den Bordellen sparen und nebenbei ihre Einkünfte leicht am Finanzamt vorbei schmuggeln können. Daraus sieht man deutlich, dass Verbote weniger verhindern und mehr ins Dunkelfeld verdrängen.
Fazit
Das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger ist das Ergebnis zahlreicher Fehleinschätzungen und unzutreffender Verallgemeinerungen. Es wird sich zeigen, inwieweit es seinem Renommé und dem des Nomos Verlages noch schaden wird.
1) Quellen siehe Zahlen und Quellen
